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Direktionsrecht des Arbeitgebers und Freizeit des Notfallsanitäters

Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Dr. Bernd Josef Fehn

16. Januar 2023

Das #Landesarbeitsgericht (#LAG) Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil vom 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22, NZA-RR 2022, 624 = openJur 2022, 20548 klargestellt, dass ein bei einem #Rettungsdienst angestellter #Notfallsanitäter außerhalb seiner #Dienstzeiten für seinen #Arbeitgeber nicht erreichbar sein muss. Die #Revision wurde zugelassen.

In einer #Betriebsvereinbarung war geregelt, dass die #Notfallsanitäter zu Springerdiensten verpflichtet werden können. Darüber musste sie der #Arbeitgeber am Vortag bis spätestens 20 Uhr informieren. An den im Folgenden in Rede stehenden Tagen (08.04. und 15.09.2021) mussten sich wegen der #Corona-Pandemie die Mitarbeiter im unkonkreten #Springerdienst in den Fällen, in denen keine weitere Konkretisierung des Dienstes erfolgte, zu #Dienstbeginn nicht am zugewiesenen #Dienstort einfinden, sondern telefonisch um 07:30 Uhr von zu Hause aus ihre Einsatzfähigkeit mitteilen. Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, im Internet den aktuellen #Dienstplan einzusehen.

Am 06.04.2021 endete der Dienst des klagenden Notfallsanitäters um 19:00 Uhr. Zu jenem Zeitpunkt war seit dem 04.04.2021 um 08:22 Uhr für den 08.04.2021, seinen nächsten #Arbeitstag, im Ist-Dienstplan ein unkonkreter #Springerdienst eingetragen. Am 07.04.2021 um 13:20 Uhr teilte der #Rettungsdienst dem #Notfallsanitäter für den 08.04.2021 einen Dienst in der #Tagschicht in einer von seiner #Stammwache abweichenden #Rettungswache mit Dienstbeginn um 06:00 Uhr zu und trug dies in den Ist-Dienstplan ein. Versuche, den Angestellten telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Der #Rettungsdienst übersandte dem #Notfallsanitäter um 13:27 Uhr eine SMS. Am 08.04.2021 zeigte dieser um 07:30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur #Arbeitsleistung an. Er wurde von seinem #Arbeitgeber, der zwischenzeitlich einen Mitarbeiter aus der #Rufbereitschaft herangezogen hatte, nicht weiter eingesetzt. Er wurde stattdessen ermahnt und bekam 11 Stunden von seinem #Arbeitszeitkonto abgezogen.

Für den 15.09.2021 war für den #Notfallsanitäter zunächst ein Dienst als „#Springer kurzfristig“ im Ist-Dienstplan eingetragen, der am 10.09.2021 auf den „#Tagdienst“ beschränkt wurde. Am 14.09.2021 war frei. Um 09:15 Uhr des 14.09.2021 konkretisierte der #Rettungsdienst den Dienst des Notfallsanitäters auf eine um 06:30 Uhr aufzunehmende Tätigkeit außerhalb seiner #Stammwache. Dieser war erneut telefonisch nicht erreichbar, weshalb ihn der #Rettungsdienst mittels SMS und E-Mail zu erreichen versuchte. Am 15.09.2021 zeigte der #Notfallsanitäter um 07:30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur #Arbeitsaufnahme an. Der Aufforderung zur #Arbeitsaufnahme außerhalb seiner #Stammwache kam er um 08:26 Uhr nach. Der #Rettungsdienst wertete die Zeit von 06:30 Uhr bis 08:26 Uhr als unentschuldigtes Fehlen, erteilte ihm deswegen eine Abmahnung und zog ihm 1,93 Stunden von seinem #Arbeitszeitkonto ab.

Das Gericht verurteilte den #Arbeitgeber zur Gutschrift von 11,75 Stunden, nachdem der #Arbeitnehmer seinen auf den 15.09.2021 bezogenen Antrag im Verfahren auf 0,75 Stunden Fahrzeit reduziert hatte, und zur Entfernung der #Abmahnung aus der #Personalakte.

Zwar mache der #Arbeitgeber mit einer Änderung des Dienstplans von seinem #Direktionsrecht Gebrauch. Die #Dienstplanänderung müsse dem #Notfallsanitäter jedoch zugegangen sein. Da dieser seine #Arbeitsleistung 08.04.2021 angeboten habe, habe sich sein #Arbeitgeber im #Annahmeverzug befunden. Der #Arbeitnehmer sei nicht verpflichtet, während seiner #Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine #Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine #Freizeit zu unterbrechen. Beim Lesen einer SMS, mit der der #Arbeitgeber sein #Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiert, handele es sich um #Arbeitszeit. abverlangt. „#Arbeit“ sei jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient (#Bundesarbeitsgericht – #BAG), Urteil vom 18.03.2020 – 5 AZR 36/19, openJur 2020, 81952 Rn. 54; Urteil vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17 – Rn. 13, BAGE 164, 57 = openJur 2019, 240 Rn. 30. Daraus folge auch, dass es eine #Arbeitsleistung sei, wenn erwartet werde, sich über Zeit und Ort der #Arbeitsaufnahme im Internet zu informieren.

In der #Freizeit bestehe ein Recht auf #Unerreichbarkeit. #Freizeit zeichne sich dadurch aus, dass #Arbeitnehmer Arbeitgebern nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese #Freizeit verbringen. In dieser Zeit seien sie nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und fungierten nicht als #Arbeitskraft. Es gehöre zum #Persönlichkeitsrecht, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht (#LAG Thüringen, Urteil vom 16.05.2018 – 6 Sa 442/17, openJur 2021, 11573 Rn. 45).

Der zeitlich minimale Aufwand, der mit dem Aufrufen und Lesen einer SMS verbunden ist, stehe dem nicht entgegen. #Arbeit werde nicht deswegen zur #Freizeit, weil sie nur ganz geringfügig anfällt. Das Recht auf #Nichterreichbarkeit diene neben dem #Gesundheitsschutz auch dem #Persönlichkeitsschutz. Der #Rettungsdienst durfte und musste folglich nach der #Verkehrsanschauung damit rechnen, dass der #Notfallsanitäter die ihm übersandte SMS erst mit Beginn seines Dienstes um 07:30 Uhr zur Kenntnis nahm.

Was den 15.09.2021 angeht, sei die #Arbeitszeitkonkretisierung früher möglich gewesen, da der der Konkretisierung des Springerdienstes zugrundeliegende Ausfall eines anderen Mitarbeiters bereits am 12.09.2021 um 20:14 Uhr erfolgt war. Eine #Dienstplanänderung am 13.09.2021 habe der #Notfallsanitäter zur Kenntnis nehmen können, da er an diesem Tag Dienst hatte.

Schließlich enthalte die #Abmahnung eine unzutreffende rechtliche Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers und sei daher aus seiner #Personalakte zu entfernen.

Zusammengefasst war der #Notfallsanitäter nicht verpflichtet, in seiner #Freizeit im Internet auf Änderungen des Dienstplans zu achten, einen dienstlichen Anruf entgegennehmen und eine dienstliche SMS oder E-Mail zu lesen. Denn selbst über die Gestaltung seiner #Freizeit entscheiden zu können, gehört zum #Persönlichkeitsrecht eines jeden Arbeitnehmers.